Change has changed
Es gab sie, die Zeiten, in denen wir fleißig Pyramiden auf PowerPoint-Seiten gezeichnet haben, um die aus unserer Sicht effektivste Vorgehensweise in einem Veränderungs-Projekt zu skizzieren. Links und rechts symbolisierten Pfeile von oben nach unten die korrekte Übermittlung von Informationen in die einzelnen Hierarchieebenen.
Paul Watzlawik
„Das Problem mit jeder Anpassung an die Umstände ist nur, dass letztere sich mit der Zeit ändern.“
Veränderungen funktionieren nicht linear
Unter dem Stichwort „Prozesssicherheit“ wurde lange Zeit Stille Post ohne Streuverluste und Interpretationsspielräume suggeriert. Wenige Veränderungsvorhaben sind bekannt, in denen es tatsächlich so funktioniert hat. Äußerst wenige. Dummerweise kam immer das Leben dazwischen, oder die Realität mit einer ihrer Unvorhersehbarkeiten – oder die nächste Transformation ...
Dass Veränderungen selten linear verlaufen, auch wenn sie auf höchster Ebene angestoßen und mit aufwändiger Planung um- und durchgesetzt werden, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dennoch verhalten sich die meisten Unternehmen und viele Experten noch immer so, als wären Top-Down-Prozesse, Meilenstein-Planung und Kaskaden das Allheilmittel für ein Happy End.
Aufgetaut und durchgerüttelt
Dahinter steckt die Vorstellung, dass es sich bei Veränderungen um temporäre Prozesse mit klar definiertem Anfang und Ende handelt. Hauptsache, das Ganze wird in möglichst kurzer Zeit durchgesteuert, um am Ende wieder „normalen Alltag“ einkehren zu lassen.
Mit den Begriffen „freeze“ und „unfreeze“ beschreibt die britische Unternehmensberaterin Deborah Rowland* diese Vorstellung: Der Zustand einer Organisation wird im Normalzustand als statisch, also „eingefroren“ angesehen. Im Change werden die entsprechenden Strukturen aufgetaut („unfreeze“), die Veränderung wird umgesetzt und die Organisation im neuen (Aggregat-) Zustand wieder eingefroren. Mit anderen Worten: Eine Organisation befindet sich entweder in einem statischen Zustand oder durchläuft eine Veränderung.
* Credits: Deborah Rowland, Malcolm Higgs: Sustaining Change
Veränderung ist Alltag
Im Kern geht es um zwei grundlegende Glaubenssätze. Nummer eins lautet: Der Ausgang einer Veränderung kann kontrolliert, linear gesteuert und innerhalb eines festgelegten Fahrplans zum vereinbarten Ziel dirigiert werden. Die Realität innerhalb und außerhalb eines Unternehmens präsentiert sich allerdings anders. In den unterschiedlichsten Bereichen müssen Menschen und Organisationen mit Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit umgehen. Veränderung ist allgegenwärtig.
Vielleicht war dies schon immer der Fall, aber selten haben sich so viele gesellschaftliche Bereiche gleichzeitig so schnell und so tiefgreifend verändert. Ein guter Zeitpunkt also, um sich auch von der Vorstellung des klassischen Change-Prozesses zu verabschieden und Konzepte ins Spiel zu bringen, die ausreichend Flexibilität beinhalten.
Stabilität und Kontrolle geraten ins Wanken
Womit wir zum Glaubenssatz Nummer zwei kommen, der den Umgang mit Veränderungen bislang stark dominiert hat: Menschen wollen keine Veränderungen. Diese Annahme hat bislang dazu geführt, dass aufwändige Prozesse initiiert wurden, um Mitarbeiter und Kollegen vom Sinn der angestrebten Veränderung zu überzeugen. Bei vielen Veränderungsvorhaben wurde – und wird – ein echter Verkaufsprozess in Gang gesetzt, der am Ende vor allem eine Botschaft transportiert: Alle Beteiligten gewinnen durch die angestrebte Veränderung an Stabilität und Erfolg. Damit dies tatsächlich so eintritt, gilt ein sorgfältig ausgearbeiteter Fahrplan mit den entsprechenden Meilensteinen als Garant für Stabilität und Kontrolle im Prozess. Womit wir wieder bei der Linearität von Veränderungen wären: Das Leben, die Realität oder unvorhersehbare Entwicklungen kommen meistens dazwischen.
Sicherheit und die Fähigkeit, sich selbst zu aktualisieren
Kontrolle ist – insbesondere in unsicheren Zeiten – offenbar ein sehr ursprüngliches menschliches Bedürfnis. An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, wie wir Stabilität und Vertrauen jenseits starrer Strukturen erlangen können. Insbesondere Führungskräfte sollten in der Lage sein, sich selbst Sicherheit zu geben. Hängt der Einfluss einer Führungskraft zu sehr an ihrer Rolle und dem damit verbundenen Einfluss, ist Instabilität in unsicheren Zeiten vorprogrammiert: Diejenigen, die das System als Stütze ihrer Macht benötigen, halten erfahrungsgemäß in instabilen Zeiten noch stärker an Strukturen und hierarchischen Gepflogenheiten fest. Starre Strukturen sind die Folge - anstelle von Flexibilität und der Fähigkeit, sich selbst zu aktualisieren.
People over Process
Lange Zeit hat uns das damit verbundenen Schwarz-Weiß-Denken Erfolge beschert. Insbesondere die Industrialisierung wurde durch Henri Fords und Frederic Tylors Ansatz massiv befeuert: Es gibt nur einen richtigen Weg, einen bestimmten Arbeitsvorgang effektiv und zielführend zu erledigen. In der langen Geschichte von Krieg, Arbeit und Politik hat uns diese Denkweise jedoch auch immer wieder ein Schnippchen geschlagen: Neue Ansätze und Innovationen konnten sich aufgrund der vorherrschenden Strukturen und Prozesse nur schleppend oder viel zu spät durchsetzen.
Fest steht: Im Zeitalter von exponentiellem Wachstum und immer kürzeren Innovationszyklen braucht es einen anderen Ansatz. Einen Ansatz, in dem der einzelne Mensch in den Vordergrund rückt – und der Prozess in den Hintergrund. Eine zentrale Aussage im agilen Manifest lautet: People over Process. Übertragen auf Veränderungsprozesse heißt dies: Die Menschen machen die Veränderung, nicht der Prozess.